Die Welt in den Bildern

https://markus-jaeger.myportfolio.com/sammlungen

Von Susanne Marschall

„Wenn man ein Kenner ist, darf man keine Sammlung anlegen.“
(Jean-Jacques Rousseau)

Sammeln bedeutet zusammentragen, zusammenbringen und zueinander fügen. Daraus entwickeln sich dann neue Verbindungen, es wachsen Verästelungen, die in verschiedene Ebenen und Richtungen ragen. Beziehungen entfalten sich, die vorher im Verborgenen lagen. Sammeln ist vor allem ein Auswählen und Sichtbarmachen neuer Zusammenhänge und Ordnungen, die das Weltverständnis erweitern.

Ein besonderer Ort des Sammelns ist die Bibliothek: In endlosen Regalreihen werden Bücher voller Erlebnisse, Erfahrungen, Erkenntnisse gesammelt – geballtes Wissen zu unterschiedlichsten Themen. Eine Kunstbibliothek ist noch spezieller: Bild und Wort befruchten sich. Das genaue Schauen und Erspüren sind wichtig, um sich einem Dahinter anzunähern, zwischen den Zeilen der Bilder lesen zu können, um es mit den Erklärungen, dem, was man über die Geschichte, die Kunstgeschichte, den Künstler gelesen hat, in einen umfassenderen Zusammenhang zu bringen. Neue Verbindungen zu entdecken, neue Horizonte zu sichten.

Solch einen magischen Ort hat sich Markus Jäger für sein Projekt „Große Gesten – Ab- und Zufall einer Raumstation“ ausgesucht. Er ist durch die übermächtigen Reihen der Bibliothek der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe gestreunt, hat Fotos gemacht und mehr zufällig Bücher aus den Regalen gezogen, irgendwo aufgeschlagen. Ließ sich durch die Fülle der Sammlung treiben, immer mal wieder auch von bekannten Namen anlocken. Hat sich an den Farben berauscht, ist in die Bilder hineingekrochen, um sie besser kennenzulernen. Geheimnisse aufzuspüren. Vernetzungen zu finden und Kontexte zu begreifen.

Dann sein künstlerisches Eingreifen: Er hat die langen, bebücherten Regalfluchten in Grauschattierungen auf Bütten getuscht, dabei den Elefantenfuß in Szene gesetzt. Hat dieser Steighilfe, um an obere Regalbretter zu kommen, eine Bühne bereitet, ihr die Aura einer Skulptur geschenkt, mit Lichttupfern besprengt. Einzelne Bücherrücken aus der Flut herauskristallisiert und vergrößert – „Picasso, Picasso, Picasso“ – ihnen dadurch eine zentrale Rolle verliehen. Details aus den Abbildungen herangezoomt, angeschnitten und abgeschrägt, Portraits abstrahiert, Bilder neu komponiert und in seiner Handschrift nachempfunden. Fiktive Pärchen gebildet, auch aus einem ästhetischen Impuls heraus, der einen inhaltlichen nach sich zieht. So begegnen sich beispielsweise Hans von Marées und Edgar Degas, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Arnold, Gerhard Marcks und eine Felsritzung in der Sahara. Teilweise hat er seine Bilder auch am Computer bearbeitet. In schreienden Farben koloriert, dabei ganz Neues gefunden und erfunden, übersetzt in seine Sprache. 

Durch seine Verfremdungen, seinen Duktus durchbricht Markus Jäger die gewohnte Sicht auf die Dinge. Zeigt eine neue Wirklichkeit, eine unbekannte, manchmal auch verstörende, geheimnisvolle, die eine andere Wahrnehmung einfordert. Einen anderen Blick. Dabei verfremdet Markus Jäger aber nicht nur auf der Oberfläche, dem Zweidimensionalen, sondern verdichtet seine Gefühle zu dem, was er gesehen und erspürt hat zu kleinformatigen Werken. Sein Verständnis von der Zeit steckt genauso in einem Pinselstrich, einer Farbe, der ganzen Komposition, wie die damaligen Umstände, die Geschichte im Allgemeinen. Und so ergeben sich immer auch Querverbindungen durch verschiedene historische Zeiten, Ebenen und Kunstlandschaften. 

Sein Projekt ist ein Versuch, sich durch Bilder ein Bild von der Welt zu machen. Durch die künstlerische Zwiesprache Zusammenhänge zu entdecken. Zu erkennen, zu ergründen. Tiefer zu schauen, Beziehungen nachzuspüren. Sich die Welt zu erklären, anzueignen durch den Eingriff der gestalterischen Veränderung. Inspiriert und angetrieben vom Wissen-wollen, der Lust am bewussten Wahrnehmen, der Freude am Begreifen, am Verstehen der engmaschigen Vernetzungen: Je mehr man weiß, desto besser sieht man Zusammenhänge, kann sie verstehen, aber auch herstellen. Der Weitblick wird geschärft, die Welt größer und gläserner. Im besten Fall verständlicher.

Es ist ein bildreiches Erzählen vom Platzfinden in dieser prallen Welt. Markus Jäger scheint jedenfalls von einem seiner kleinen Werke zum anderen zu springen – freudvoll auf seiner vom Zufall getriebenen Entdeckertour – und in jeder künstlerischen Auseinandersetzung etwas zu ahnen, zu spüren oder zu sehen. Aus den vielen Mosaiksteinchen ein Ganzes zusammenzusetzen. Einen Ort, der klarer ist in seinen ausgedehnten Grenzen und seiner komprimierten Art. Damit gibt er sich einem Prozess des Gestaltens hin, der nie aufhört, der sich stets weiterentwickelt und verändert und damit verzweigt, vielschichtig und vielförmig eine immer wieder neue Sicht auf die Welt schafft.