Kunst und Künstliche Intelligenz: …

von Roswitha Zytowski, 2020

Kunst und Künstliche Intelligenz: Ein Kräftemessen auf Augenhöhe?

Gedanken zur Ausstellung MENSCH MASCHINE  – Sophia lernt Zeichnen
Werke von Markus Jäger im KunstRaum Neureut e.V.

Die Faszination für das künstlich Geschaffene begleitet uns als Menschheit. In den verschiedenen Kulturen gibt es unterschiedliche Ausformungen der Idee etwas zu schaffen, was dem Menschen in seinen physischen Fähigkeiten aber auch in seinen kognitiven Begabungen ähneln, gleichen, ihn vielleicht sogar überflügeln könnte.

In das Mittelalter verweist die Schaffung des Golems. Ein aus Lehm geformtes menschliches Wesen, welches zwar nicht der Sprache mächtig, wohl aber mit enormen physischen Kräften ausgestattet ist. In eine ähnliche Vorstellungswelt geht auch der von Mary Wollstonecraft-Shelley (1797-1851) geschaffene Roman Frankenstein.

Der Protagonist Victor Frankenstein studiert Medizin in Europa. Besessen von der Idee selbst zum Schöpfer zu werden, erschafft er aus Leichenteilen einen künstlichen Menschen, den er mittels Elektrizität zum Leben erweckt. Es gelingt, das Wesen wird lebendig. Doch es ist nicht das Ebenbild seines Schöpfers, sondern ein übergroßes, hässliches Monster, welches Frankenstein wegen seines Aussehens verstößt. Beide Figuren, der Fiktion entsprungen, sind von der Idee getragen, wir Menschen können eine uns wesensgleiche Form kreieren.

Diese Idee fand neben der Literatur auch und insbesondere Ausdruck in der Technik. Androiden, also dem menschlichen Aussehen nachempfundene Maschinen, sollten schon im Jahr 1769 einen veritablen Schachgegner abgeben. Allerdings war dieser künstliche Schachspieler des Wolfgang von Kempelen keine autonome Maschine, vielmehr verbarg sich in seinem Inneren ein Mensch.

Neben vielen Versuchen und kreativen Inspirationen von Metropolis über Blade Runner, sollte es bis ins 21.Jahrhundert dauern, bis tatsächlich ein humanoider Roboter namens Sophia in unsere Realität trat. Sophia hat ein weibliches Aussehen und arbeitet mit Künstlicher Intelligenz, die sie in die Lage versetzt Daten visuell zu verarbeiten, Gesichter zu erkennen und Mimik sowie Gestik zu imitieren. Doch wie weit kann die Künstliche Intelligenz an uns Menschen heranreichen? Kann die Künstliche Intelligenz wirklich all das schaffen, was wir Menschen zu leisten in der Lage sind? Kann Künstliche Intelligenz eigenständig kreativ sein, gar Kunst schaffen?Kann Sophia wirklich lernen zu zeichnen?

Das Künstlerkollektiv „Obvious“ landete Ende 2018 einen Coup: Mittels Algorithmus wurde ein Kunstwerk geschaffen, welches bei einer Auktion für 432.500 Dollar den Besitzer wechselte. Das Kunstwerk mit dem Titel „Edmond de Belamy“ ist das Ergebnis eines Prozesses, bei dem die Künstliche Intelligenz mittels Werken von Rembrandt trainiert wurde.Und ist dies entstandene Bild nun ein geniales Kunstwerk?

Wohl eher nicht! Denn, hätte ein realer Künstler dieses Werk geschaffen, hätten ihm die Kunstexperten eine starke Nähe zu Rembrandt und Bacon bescheinigt. Ob er allerdings diesen Preis in einem Kunstauktionshaus erzielt hätte, ist eher unwahrscheinlich.

Die Faszination dieses Werkes oder dieser Kunstproduktionsform liegt in dem Schlüsselbegriff Künstliche Intelligenz. Dieses Zauberwort, das in vielen Bereichen zur Verheißung wird, soll die Grenze zwischen den technischen Möglichkeiten und dem menschlichen Können verschwimmen lassen und nach der Vorstellung einiger Wissenschaftler bzw. Programmierer sogar aufheben.

Und was macht Markus Jäger? Greift er die Idee auf und lässt den Computer Kunstwerke schaffen?
Markus Jäger nutzt den Computer als ein Hilfsmittel, um Kunstwerke zu schaffen. Er, der Zeichner und Maler, setzt teilweise Computer-Programme ein, doch für ihn ist der Computer ein Arbeitsmittel, wie der Zeichenstift oder der Pinsel. Mittels des Computers wird in der Arbeit ‚MENSCH MASCHINE Der Stand der Dinge‘ das Personal der Antike mit Elementen aus der Gegenwart oder Kunstwerken des 20. Jahrhunderts kombiniert. Markus Jäger lässt seinen Ideen freien Lauf und realisiert diese mittels des Computers. Er ist der Kreative! Ihm obliegt die Fähigkeit als „Individuum in phantasievoller und gestaltender Weise zu denken und zu handeln.[…] Zu den kreativitätsförderlichen Aspekten der Person gehören bspw. Personenmerkmale wie Offenheit für Erfahrung, Verantwortungsgefühl oder hohe allg. kognitive Fähigkeiten¹.“

Diese Offenheit setzt bei Markus Jäger einen Prozess in Gang, der ihn mit allen (technischen) Mitteln arbeiten lässt, ohne seine Autonomie als Künstler aufzugeben. Er, der Künstler, ist in der Lage den Zufall zuzulassen und sogar mit ihm zu arbeiten. Ein Tintenfleck kann zu einem anderen Kunstwerk führen, als ursprünglich geplant.

Bei seinem Plakatprojekt ‚Mann mit Hut‘ lässt er das Unkontrollierbare bewusst zu. Im Außenraum an einer Litfaßsäule befestigt, konnten Wind und Wetter an dem Werk, welches den Schauspieler Freder Fredersen aus dem Film Metropolis zeigt, wirken.

Wir, als Betrachter, sehen nur das Ergebnis eines kreativen Prozesses: ein Bild, eine Plastik, eine Installation. Doch der Weg hin zu diesem Ergebnis ist für Markus Jäger der eigentliche kreative Akt – bei dem er, wie in dem Plakatprojekt ‚Mann mit Hut‘, im wahrsten Sinne des Wortes die Elemente walten lässt.

Die äußeren Einflüsse sind hier Teil des Entstehungsprozesses des Werkes.

Wenn also Markus Jäger Sophia das Zeichnen lernen lässt, dann ist hier eben nicht Künstliche Intelligenz am Wirken, sondern ein Künstler. Er, der mit einem Zeichenprogramm sich vorstellt, wie Sophia den Menschen, also uns, sieht. Ein Liniengewirr, in dem tatsächlich, wenn auch schemenhaft, ein Mensch zu erkennen ist. Aber dieses wäre kein Werk von Markus Jäger, wenn er uns nicht mit einem „Augenzwinkern“ auf eine Spurensuche schickte, bei der er die Fährte legt. Ein kleiner Hinweis sei an dieser Stelle erlaubt: Das, was wir sehen können, hat inhaltlich mit Künstlicher Intelligenz zu tun, wenngleich sie eben nicht Anwendung findet. Für einen Künstler wie Markus Jäger ist eine thematische Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen und kulturrelevanten Fragen immer auch ein Quell der Inspiration. Letztendlich ist die Triebfeder für den Künstler das Machen.

Auf die Frage nach seiner Motivation antwortete Markus Jäger mit einem Zitat von Georg Baselitz: „Ich bin immer nur scharf auf’s nächste Bild.“

In Anlehnung daran formuliert Markus Jäger sein Vorgehen:
„Ich benutze nur die Programme, zeichne aber lieber selbst.
D.h., ich informiere mich selber und werde gerne von mir selbst überrascht.
Da passiert vor allem Unvorhergesehenes und im besten Falle auch etwas Neues. Ich bin scharf auf das nächste Unvorhergesehene.“

Vielleicht lernt Sophia oder ihre Nachfolgerin tatsächlich eines Tages das Zeichnen. Vielleicht wird sie dann aus einem zufälligen Tintenfleck eigenständig ein Kunstwerk schaffen. Bis dahin betrachten wir die geschaffenen Werke von Künstlerinnen und Künstler als das, was sie sind, nämlich „Kunst, die Gesamtheit der Werke menschlicher Produktivität, die nicht an einen bestimmten praktischen Nutzen oder Zweck gebunden sind².“

¹ Gablers Wirtschaftslexikon online, Definition Kreativität
² Brockhaus 1992, zum Begriff „Kunst“