St. Michael

Installation St. Michael

Dr. Dietmar Lüdke

Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Kunst und Religion“ in St. Michael, Karlsruhe am 17.September 2010

Sehr geehrte Damen und Herren!

„Kunst und Religion. Verschiedene Wege –gemeinsames Ziel?“ – das ist der vieldeutige Titel der Ausstellung, die an dem heutigen Abend des Karlsruher Galerierundgangs (17.09.2010) in der katholischen Kirche St. Michael mit 21 Bildern und Plastiken der fünf hier anwesenden Künstlerinnen und Künstler, nämlich Rosa Baum, Sigrid Haag, Wolfgang Henning, Elmar Interschick und Markus Jäger – eröffnet wird.

Die Genannten haben keine Mühen gescheut, Ihre z.T. großformartigen und schweren Arbeiten an diesen Ort zu bringen, in bester Weise zu installieren, zur Wirkung zu bringen und, wie in dem ansprechenden Faltprospekt zu dieser Schau angekündigt wird, alle Interessierten zum Dialog über das heutige Verhältnis von Kunst und Religion willkommen zu heißen.
Am Beginn dieses Dialogs sollte das Sich-vertraut-Machen mit den präsentierten Kunstwerken und das Befassen mit deren Inhalten und Botschaften stehen, wozu die folgenden Ausführungen beitragen mögen.

Es ist heute nicht mehr ungewöhnlich, dass sich Kirchen an die Seite von Museen, Galerien und Kunstforen stellen und einerseits Künstlerinnen und Künstlern ohne Vorbedingungen die Möglichkeit geben, mit ihren Werken an die Öffentlichkeit zu treten, und andererseits dem Zeitgenossen einen frei zugänglichen Ort zum Kennenlernen künstlerischer Arbeiten bieten.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Kirchen besondere Orte sind, Häuser, die Gott geweiht sind, in denen Er angebetet, gelobt und verehrt wird, in denen die christliche Heilsbotschaft zur Verkündung gelangt und ausgelegt wird, in denen Tröstungen, Wohltaten und Verheißungen verlautet und vergeben werden und die schließlich als Orte der Stille, des Friedens, der inneren Sammlung oder der Meditation begriffen werden.

Kirchen waren seit jeher sakrale Räume, die bedeutungsvoll, symbolisch, kostbar und künstlerisch gestaltet und geschmückt wurden, also Orte, an denen Bilder und Bildwerke zugelassen und erwünscht waren, da sie den Glaubensinhalten sichtbaren Ausdruck verliehen und religiös definierte Funktionen erfüllten. Dies mag die exemplarische Äußerung in einer berühmten Predigt auf den heiligen Karfreitag, gehalten von dem in Straßburg und Basel um 1300 bis 1361 lebenden und tätigen Dominikaner, Mystiker und Seelsorger Johannes Tauler verdeutlichen: – Ich zitiere:
„Weil Christus in seinem Fleisch gelitten hat, so sollt ihr euch waffnen, solches zu bedenken; und auf dass das Gedächtnis dessen nimmer aus unseren Herzen kommen sollte, so werden wir auch durch unsere getreue Mutter, die heilige Kirche, nicht allein mit Schriften und in dem Gottesdienste, sondern auch mit heiligen Bildern, unserer Schwäche zur Steuer, ohne Unterlass dazu ermahnt und gereizt, Gott zu loben und zu danken für die große wunderbare Liebe, die er uns in seinem heiligen Tod in allerhöchstem Maße erzeiget. – Das ist auch die Ursache, dass die heilige Kirche uns der Heiligen Figuren und Gemälde zugelassen hat; wir sollen dadurch ermahnt werden, ihrem heiligen Leben nachzufolgen, dass wir auch um die Liebe Gottes gerne streiten und leiden und in dem Glauben gestärkt werden, und dass unser vergessenes Gemüt damit zu Gott erweckt werde. Aber über alle Bilder ist uns das Allernützlichste, öfters anzusehen und mit Innigkeit anzuschauen das Bild unseres gekreuzigten Herrn Jesu Christi.“ (Zitat Ende)

Sakrale Bilder und Bildwerke, wie sie Johannes Tauler kannte und in seiner Predigt erwähnte, sind noch heute in St. Michael zu sehen, wo sie im Altarraum, in der Sakramentskapelle und an den Wänden des Gemeinderaumes aufgestellt und fixiert sind.
Im Unterschied zu diesen sind die 21 Werke der lebenden Künstlerinnen und Künstler primär nicht religiös oder konfessionell motiviert, sondern sind Arbeiten, die in erster Linie eine humane Komponente zu erkennen geben, das heißt, dass ihre Autoren Aspekte des heutigen menschlichen Lebens zum Anlass und Beweggrund für ihre schöpferisch–gestalterische Arbeit nehmen, wie die folgenden Ausführungen zu den einzelnen Werkgruppen veranschaulichen mögen.

Markus Jäger, der experimetierfreudige und jüngste der hier ausstellenden Künstler, kann ein vielseitiges, sehr reizvolles, philosophisch-weltanschaulich fundiertes Werk vorweisen. Zu diesem gehören zu einem großen Teil gemalte Bilder mit vorherrschend figürlichen Elementen, bei deren Entstehung sich Markus Jäger in den ersten Arbeitsschritten nicht wie traditionell üblich auf Zeichnungen, sondern auf Fotografien stützt, die er in einem computergesteuerten Prozess in variable, multiplizierbare und reproduzierbare Rastersysteme umwandelt, die im Folgenden manuell und malerisch bearbeitet werden.
Von diesen Bildern sind heute keine hier zu sehen, dafür aber eine Installation aus zwei, vier mal zwei Meter großen PVC-Planen, die wie viele seiner Werke das menschliche Antlitz zum Hauptgegenstand der Darstellungen machen – und somit motivisch (nicht formal) den benachbarten Arbeiten von Frau Baum vergleichbar sind.
Die zweiteilige Installation ist für diese Ausstellung gefertigt. Sie fügt sich wie keine der anderen hier gezeigten Arbeiten in den Kirchenraum ein, da sie sich in Farbigkeit, Struktur und Binnenzeichnung ganz dem Ziegelsichtmauerwerk angleicht und in ihm zu versinken bzw. aufzugehen scheint. Denn im Eins-zu-eins-Maßstab und in feiner Körnung geben die beiden opak-weißen Bildträger, die die Funktion weißgrundierter Leinwände haben, die kunstvolle, netz- und geflechtartige Mauerung der Wandflächen (die sie verdecken) mit ihren Streifen, Bändern, Fugen und Lücken – samt den zufällig von vorangehenden Ausstellungen herrührenden Bilderhaken und Kordeln – wieder, so dass sich beim ersten Hinblick die irrtümliche Vermutung einstellen mag, die Planen könnten aus transparenten Folien bestehen. Von Nahem betrachtet, sind nur wenige zarte, mal lichte, mal dunkle, nahezu formlose Schattierungen wahrzunehmen, die sich über Fugen und Ziegel hinweg bis zu den Rändern der Planen ziehen. Aus größerer Entfernung, am besten von der gegenüberliegenden Seite des weiten Kirchenraums, erkennt der Betrachter aber, dass sich auf dem abgebildeten Mauerwerk der beiden Bildträger die riesengroßen, ausschnitthaft wiedergegeben Köpfe eines en face gesehenen, lächelnden und den Betrachter anblickenden Jungen mit glitzernden Augen und eines im Profil, also von der Seite erfassten alten Mannes mit Bart und Brille und in Betrachtung des Kindes schemenhaft, wie in Rauch gemalt, zu erkennen geben.

Vereinfacht beschrieben, wird dieser vexierende bildliche Effekt hervorgerufen durch die Überblendung von zwei Rastersystemen, die auf der Grundlage von zwei Portrait-Fotografien, zwei Aufnahmen der Kirchenwand sowie mit Hilfe der Computertechnik gefertigt und dauerhaft auf die großen Planen projeziert wurden.
Bei der Betrachtung der beiden absichtsvoll gewählten, zu einem Motivpaar zusammen gefügten und zu denkmalhafter Größe gesteigerten Bildnisse eines jungen und eines alten Menschen mögen sich beispielsweise Gedanken einstellen, die seit den Urzeiten menschlicher Existenz bestehen, den immerwährenden Kreislauf des Lebens, also das naturgesetzliche Entstehen und Vorgehen des Menschen betreffen und auch zu zentralen Sinnfragen der Religionen führen.

Hiermit komme ich an das Ende meiner Ausführungen zu den Werken der fünf Künstlerinnen und Künstler, von denen eine jede und ein jeder zu einer eigenständigen, unverkennbaren bildnerischen Handschrift und Eigenart gefunden hat, mit denen geistige Vorstellungen sichtbaren Ausdruck erlangen. Ihnen sowie den Veranstaltern und guten Geistern der Ausstellung sei herzlich Dank gesagt für die Möglichkeit, sich mit diesen Werken im Original zu befassen und dabei neue Kenntnisse, Anregungen und Einsichten zu gewinnen.
Sehr verehrte Damen und Herren, freuen sie sich an diesem Abend und haben sie Dank für Ihre Aufmerksamkeit!