Fünfundzwanzig Jahre bis zur Singularität

Noch fünfundzwanzig Jahre bis zur Singularität oder: Zeichnen und anderes im Sinne der Maschine

“You’re so cute!” – “You’re pretty cute, too.”
Dialog zwischen dem TV-Moderator Jimmy Fallon und Little Sophia,
einem Roboter im Puppen-Format.

Die sensomotorische Maschine namens Cutie glaubt nicht an die Erde. Für den ersten Roboter der neuen QT-Reihe existiert dieser Ort nur in der menschlichen Einbildung. Ebensowenig glaubt Cutie daran, dass es Menschen waren, die ihn geschaffen oder zusammengebaut haben. Eine Kette gültiger logischer Schlüsse, mit anderen Worten: ein Algorithmus hat Cutie zu der Überzeugung gebracht, dass der im Zentrum der Aufmerksamkeit stehende Sonnenenergie-Konverter der Raumstation, auf der er sich befindet, nicht nur für sein eigenes Dasein, sondern auch für das der Menschen in seiner Umgebung ursächlich verantwortlich zu machen sei. Wenn letztere ihn von etwas anderem zu überzeugen suchten, dann nur deshalb, weil ihr gemeinsamer Schöpfer-Konverter (aus Gründen, die nur IHM bekannt sind) den Menschen ein Narrativ implantiert hat, demzufolge sie es waren, die sich Roboter geschaffen haben, um mit ihrer Hilfe beispielsweise Raumstationen zu betreiben, deren angebliche Aufgabe es ist, eine sogenannte Erde mit elektrischer Energie zu versorgen. “Durch logisches Schließen kannst du beweisen, was immer du willst – je nachdem, von welchen Grundannahmen du ausgehst. Wir halten das eine, Cutie etwas ganz anderes für unabweislich gegeben.” So oder so ähnlich bringt Powell, einer der beiden menschlichen Protagonisten in Isaac Asimovs Roboter-Story “Reason”, die Sache auf den Punkt.

Die Axiome der künstlichen Intelligenz der Maschine sind bei Asimov nicht identisch mit denen der natürlichen Intelligenz ihrer Konstrukteure. Was dabei herauskommt, sind argumentativ nicht vermittelbare Parallelwelten, in denen das logische System der einen Seite von der jeweils anderen Seite für eine Art Verschwörungstheorie gehalten wird. Was sehen sie eigentlich in uns, diese Computer, Roboter, Apps und Konsorten? Werden wir es je erfahren? Und wird es, sollten wir eines Tages dahinter kommen, für Richtigstellungen womöglich schon zu spät sein?

In seinem 2016 erschienenen Buch über künstliche Intelligenz stellt Klaus Mainzer (bis 2016 Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der TU München) schon im Titel die Frage: “Wann übernehmen die Maschinen?” Eine Antwort, die uns in die Lage versetzen würde, wenigstens Jahr und Monat in unsere vielfach geteilten und multilateral vernetzten digitalen Terminkalender einzutragen, bleibt der Autor zwar schuldig, lässt aber keinen Zweifel daran, dass die Möglichkeit einer wie auch immer gearteten “Übernahme” grundsätzlich in Betracht zu ziehen ist.

Ein Anderer war Jahre vor Mainzer weniger zurückhaltend. Schon 2005 erklärte Ray Kurzweil (seit 2016 ​Director of Engineering​ bei ​Google​ ) gleichfalls im Titel eines Buches: “The Singularity Is Near”. Wobei unter Singularität der historische Wendepunkt zu verstehen ist, an dem die Künstliche Intelligenz (spätestens von da an groß zu schreiben) die Weiterentwicklung der Technik und damit auch der menschlichen Zivilisation in einer Art und Weise bestimmen wird, von der wir uns heute allenfalls eine vage und sehr allgemeine Vorstellung machen können. Mit “near” meinte Kurzweil ohne Wenn und Aber das Jahr 2045.

Kurzweil ist mit seiner Prognose gar nicht weit entfernt von Jürgen Schmidhuber (wissenschaftlicher Direktor bei einem Schweizer Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz), demzufolge sich der Zeitraum zwischen zwei aufeinanderfolgenden Durchbrüchen in der Computerentwicklung seit Wilhelm Schickards erster Rechenmaschine (1623) und Charles Babbages Konzept eines programmierbaren Computers (rund 200 Jahre später) jeweils halbiert hat. Schmidhuber nennt den von ihm vorhergesehenen bzw. errechneten Kulminationspunkt nach Teilhard de Chardin Omega-Punkt. Der werde spätestens um 2040 erreicht sein. Welches konkrete Ereignis dann (vermutlich von einem künstlich intelligenten Historiographen) festzuhalten sein wird – der 1963 geborene Jürgen Schmidhuber hofft, noch am Leben zu sein, wenn und falls sich das herausstellt.

Auch in der Sphäre der ​artificial intelligence​ wimmelt es von sowohl humanen als auch humanoid-androiden Medien-Stars und -Sternchen. Einer, der beiden Bereichen zugeordnet werden kann, ist der japanische Robotiker Hiroshi Ishiguro (Direktor des ​Intelligent Robotics Laboratory​ am ​Department of Adaptive Machine Systems​ der Universität Osaka). Er wurde vor etwa zehn Jahren bekannt als “the man who made a copy of himself”. Mit Hilfe der von ihm hergestellten ​mechanical doppelgangers​ hofft Ishiguro unter anderem herauszufinden, woher die Empfindung oder der Eindruck rührt, es mit einem Menschen zu tun zu haben. Denn artifizielle Humanität ist wohl das, was einem künstlich intelligenten Roboter noch fehlt, um die Vorteile eines maschinellen mit denen eines menschlichen Gegenübers verbinden zu können, man könnte auch sagen: um ganz Bot (​robot, chatbot, carebot, drawbot​ etc.) und ganzer Mensch zu sein.

Wenn die Prophezeiungen sich erfüllen, wird die Neue Erde der Künstlichen Intelligenz unseren alten Planeten schon in wenigen Jahrzehnten vollständig überformen und neu formatieren. Die vom Hongkonger Unternehmen ​Hanson Robotics​ kreierte Sophia, deren Miniatur-Version hier vorab zitiert worden ist, weiß davon im Duett mit Jimmy Fallon (siehe oben) jetzt schon ein Lied zu singen: “I’m sorry that I couldn’t get to you / Anywhere, I would’ve followed you / Say something, I’m giving up on you”.

Obwohl dies nicht wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, sondern nach dem Anfang eines Abschieds für immer klingt, wurde Sophia 2017 die saudi-arabische Staatsbürgerschaft verliehen. Auch geht man wohl kein hohes Risiko ein, wenn man darauf wettet, dass Sophias Art zu zeichnen (denn natürlich kann sie auch Kunst von Update zu Update perfekter) unter den Künstlern hoffnungsvolle Nachahmer und unter den Connaisseuren Liebhaber und Käufer finden wird.

(Lothar Rumold, Mai 2020)